Financial and Actuarial Mathematics, TU Wien, Austria TU Wien FAM
 
2003-05-19  Die Presse

Walter Schachermayer

Kein Gewinn ohne Risiko

Wie man Optionen bewertet: Eine Formel für die Finanzmärkte

Die Terminologie auf den Finanzmärkten hat sich in den vergangenen Jahren merklich verändert. Eines der neuen Zauberwörter heisst Arbitrage.

Die Idee dahinter läßt sich am besten durch einen kleinen Witz veranschaulichen: Ein Finanzmathematiker und ein normaler Mensch gehen spazieren; da sieht der normale Mensch einen 100 Euro Schein am Boden liegen. Als er ihn aufheben will, unterbricht ihn der Finanzmathematiker: "Versuch das gar nicht erst! Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass da ein 100 Euro Schein einfach so herumliegt. Denn wenn dem so wäre, hätte ihn längst jemand anderer aufgehoben." (Ende des Scherzes)

Unsere Alltags-Erfahrung lehrt uns, dass es eben doch von Zeit zu Zeit vorkommt, dass ein Geldschein herrenlos herumliegt. Wie schaut das aber auf den Finanzmärkten aus? Dort ist es in der Tat so, dass die Realität dem "No Arbitrage Prinzip" sehr nahe kommt. Dieses Prinzip besagt, dass es unmöglich ist, risikolos Gewinne zu machen.

Wohlgemerkt: das heißt nicht, dass man keine großen Gewinne machen kann. Aber wie die Praxis lehrt, geht dies nur um den Preis, dass man ein Risiko eingeht, also auch Geld verlieren kann.

Das Erstaunliche ist, dass diese eher schlichte Lebensweisheit ("There is no such thing as a free lunch") für die Finanzmathematik von grundlegender Bedeutung ist. Sie spielt eine ähnliche Rolle, wie der Energie-Erhaltungssatz in der klassischen Physik: es gibt kein perpetuum mobile.

1973 gelang es F. Black, R. Merton und M. Scholes aus dem "No Arbitrage Prinzip" eine Formel zur Bewertung von Optionen abzuleiten, wofür sie 1997 mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet wurden.

Ich will nun den - etwas gewagten - Versuch unternehmen, das Argument zur Ableitung dieser Formel zu skizzieren. Man beginnt mit einem für die Mathematik typischen Trick. Wie einstmals Münchhausen versucht man, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, und man nimmt einfach einmal an, dass so eine Formel existiert, die den Preis einer Option angibt. Dann kann man mit dieser (noch unbekannten) Formel rechnen und sie z. B. differenzieren.

Dieses Differential - im Finanz-Jargon "Delta" genannt - gibt an, um wieviel der Wert der Option schwankt, wenn sich der Preis des zugrunde liegenden Wertpapiers ("underlying") ein wenig ändert. Wenn beispielsweise dieses Delta 1/2 beträgt, dann bewirkt ein Ansteigen des Kurses des "underlying" um einen Cent ein Ansteigen des Kurses der Option um einen halben Cent.

Der zweite Schritt auf unserem Weg zur "Formel": Man nimmt diesen - einstweilen theoretischen - Zusammenhang ernst und versucht daraus Schlüsse zu ziehen. Man könnte z. B. ein "risikoloses Portefeuille" zusammenstellen, indem man eine positive Position ("long") des "underlying" mit einer negativen Position ("short") von zwei Optionen kombiniert. In diesem Fall müßten sich die Preisschwankungen systematisch wegkürzen: Der Verlust in einer Position wird vom Gewinn in der anderen Position kompensiert und vice versa.

Im dritten Argumentationsschritt kommt das "No Arbitrage Prinzip" zum Tragen. Ein solches riskoloses Portefeuille sollte gerade die Rendite einer risikolosen Veranlagung erbringen.

Nun sind wir bei dem Punkt angelangt, wo zwei Größen gleich sind, mit anderen Worten bei einer Gleichung. Das Bemerkenswerte ist, dass man - unter Verwendung von anspruchsvoller Mathematik - aus dieser Gleichung tatsächlich eine Formel für den Preis der Option ableiten kann, eben die berühmte Black-Scholes Formel.

Nun ist die Entwicklung mit dieser Formel keineswegs abgeschlossen. Einer führender Experten auf diesem Gebiet ist Professor H. Föllmer von der Humboldt Universität Berlin. Er wird bei einer "Gödel lecture" der Akademie der Wissenschaften versuchen, neue Entwicklungen einem breiten Publikum nahe zu bringen. Der Eintritt ist gratis! Man sollte sich diese "arbitrage opportunity" nicht entgehen lassen.